31. Mai 2016

Sechste Wegetappe: Damit wir ins Handeln kommen

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Für eilige Leser und Leserinnen
Das Handeln steht nicht am Ende eines Pastoralkonzepts, sondern ist integraler Bestandteil seiner Entwicklung. Im „immer-wieder-Ausprobieren“, im Wagen von Veränderungen ergibt sich von selbst eine neue Praxis. Der 5-Minuten Trick hilft, erste Blockaden zu überwinden und Entscheidungen zu treffen, was Sie wie und mit wem anpacken. Wer Neues anfängt, für den stellt sich zugleich die Frage: Wovon müssen wir uns verabschieden?

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1. Eine Kirche, die aus sich herausgeht

Ohne Zweifel: Wer sich heute in der Kirche engagiert, als Christin und Christ in der Gesellschaft von heute lebt, dem wird vieles zugetraut und manches zugemutet. Da braucht es zuweilen nicht nur starke Nerven und Überzeugungsvermögen, sondern auch viel Humor und Pioniergeist.

Papst Franziskus spricht nicht nur von einer Kirche, die aus sich herausgehen muss, er überzeugt vor allem mit seinen Taten, Worten und Gesten und hat damit schon einiges bewegt in dieser unserer Kirche. Herausgehen heißt: die Schwelle vom Eigenen zum Anderen, vielleicht auch zum Fremden zu überschreiten und sich auf Neues einzulassen, im Fremden das Eigene neu sehen zu lernen und damit sich wieder verändern zu lassen. Im konkreten Tun entstehen ganz zufällig neue Formen von Kirche-Sein.

Man kann sorgfältig überlegen und planen, wohin man will, aber nichts ersetzt das Handeln. Das schließt das Planen zwar nicht aus, jedoch sind Pläne nicht Mittel zum Zweck, sondern lediglich eine Basis, um Menschen für die Umsetzung eines Anliegens zu gewinnen oder eben, um einfach zu Beginn einen „Plan von dem zu haben“, was man als erstes tun wird. Dies kann äußerst hilfreich sein, um Motivation für das Handeln und Mittun zu schaffen. Aber nochmals: Pläne ersetzen nicht das Handeln.

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¹ Vgl. Sehen, was ist, Arbeitshilfe für die Gemeindepastoral, Erzbischöfliches Ordinariat Bamberg (Hg.), 2008, S. 40.
² Vgl. Faschingbauer, Michael, Effectuation. Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln, Stuttgart² 2013, S.97-101.

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2. Handeln als Teil des Pastoralkonzepts

Was viele Menschen an der Entwicklung eines Pastoralkonzepts für die Gemeinde/Einrichtung abschreckt, ist der Gedanke, dass in einem langen Prozess ein Konzept entwickelt wird, das schließlich in der Schublade verschwindet und sich damit – weil Papier geduldig ist – wieder einmal nichts verändert. Sicher: Viele kirchliche Dialogprozesse im Laufe der letzten Jahre sind so verlaufen und diese Einwände sind – selbstkritisch gesehen – durchaus berechtigt.

Gleichzeitig verhindert oft unser Denken in „Erträgen“, dass wir die ersten Schritte wagen und ins Tun kommen. Wenn man erst handelt, wenn die Aussichten auf Ertrag und Erfolg groß genug sind, alle Risikofaktoren ausgeschaltet sind, dann kommt man oft schwer vom Fleck. Die in der vierten Wegetappe „Wirksam sein“ bereits vorgestellten vier Effectuation-Grundsätze, können uns hier helfen, ins Tun zu kommen: Vorhandene Mittel bestimmen, Verluste begrenzen, andere einbinden, Zufälle nutzen.

Bei der Umsetzung braucht es dreifachen Mut: aus der Vielzahl der Ideen und Anregungen, das auszuwählen, was man für wesentlich und weiterführend hält, den Mut, zum ersten Schritt in eine ungewisse Zukunft, aber auch der Mut zum Scheitern gehört dazu. Mancher Weg, der in eine Sackgasse führt und zum Umkehren zwingt, bringt neue Erkenntnisse, die weiterführen.

Auch hier gilt es, wie schon des Öfteren betont, dick zu unterstreichen: Der Weg wird, indem man ihn geht. Wichtig ist, Schritt für Schritt vorwärts zu gehen und aufmerksam zu beobachten, ob das erwünschte Ziel auch erreicht wird, indem Sie sich Feedback geben lassen. Dies geschieht entweder dadurch, dass Sie beobachten, was Ihnen die Situation zurückmeldet oder indem Sie Menschen selbst befragen.1 So gesehen ist das Handeln nicht das Ende, sondern Teil des Konzeptionsprozesses. Sie kreieren, revidieren, verändern und erweitern das Konzept, indem Sie handeln.2 Handeln und konzipieren sind so gesehen, zwei Seiten derselben Medaille.

3. Ins Handeln kommen, aber wie?

Vermutlich haben Sie schon erste Vorhaben gesammelt, aber es fällt Ihnen schwer, den ersten Schritt zu wagen. Es gibt immer viel und anderes zu tun, bevor man sich ins Ungewisse vorwagt. Vielleicht hilft hier der von Michael Faschingbauer entwickelte „5-Minuten-Trick“, um die eigene Trägheit zu überlisten oder der eigenen Verzagtheit einen Schubs zu geben. Der Einsatz sind 5 Minuten – nicht mehr und nicht weniger.3

Schritt 1: Vorbereitung

Nehmen Sie sich ein Blatt Papier und stellen Sie einen Timer auf 5 Minuten. 5 Minuten nehmen Sie/nimmt sich die Gruppe sich jetzt Zeit, um ein neues Vorhaben zu starten.

Schritt 2: Probehandeln

Schreiben Sie nun auf, was Sie anpacken wollen. Beginnen Sie mit dem Probehandeln im Kopf.

  • Worum geht es bei dem Vorhaben und welche Ressourcen stehen Ihnen unmittelbar zur Verfügung?
  • Wer könnte an dem Vorhaben Interesse haben? Wer aus dem Netzwerk (auch außerhalb der Gemeinde/Einrichtung) könnte eingebunden werden?
  • Was sind die ersten Schritte? Was sind Sie bereit zu investieren?
  • Was ist für Sie der leistbare Verlust?

Unterbrechen Sie Ihre Überlegungen, sobald der Wecker klingelt.

Schritt 3: Entscheiden

Nun treffen Sie eine Entscheidung in der Gruppe/mit Ihnen selbst. Drei Möglichkeiten gibt es:

  • Sie machen weiter, weil Sie Lust an dem Vorhaben gefunden haben.
  • Sie treffen eine Vereinbarung, wann und wie Sie an dem Vorhaben – evtl. wieder für eine begrenzte Zeit – weiter arbeiten wollen.
  • Sie beenden das Vorhaben hier und jetzt.

Zum Weiterlesen:
Tools zum Handeln nach Effectuation, in: Faschingbauer, Michael, Effectuation. Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln, Stuttgart² 2013, S. 229-243

³ Vgl. Faschingbauer, Michael, Effectuation. Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln, Stuttgart² 2013, S.230.

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4. Ins-Tun kommen braucht…

Sich von der genialen Idee verabschieden

Wenn Sie immer auf eine geniale Idee warten, dann warten Sie wahrscheinlich lange. Verabschieden Sie sich davon und beginnen Sie bei den Herausforderungen, die Ihnen hier und heute gestellt sind durch die „Zeichen der Zeit“ und bei dem, was Sie haben und wozu Sie ganz persönlich Lust haben – bei Ihren Herzensanliegen. Damit werden Sie auch andere Menschen für Ihre Idee gewinnen.

Sowohl als auch zulassen

Wo viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und (beruflichen) Erfahrungen zusammenarbeiten, gibt es oft konkurrierende Meinungen, aber auch ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Dies zu berücksichtigen und als Bereicherung zu sehen, birgt ein ungeheures Potential für die Umsetzung. So holen Sie Know-How herein, das unschätzbar ist.

Bei vorhandenen Mitteln ansetzen und das Netzwerk nutzen

Überlegen Sie: Welche Mittel haben wir, um ein bestimmtes Vorhaben anzugehen? Was können wir mit wem anpacken und sofort umsetzen? Mit dieser Herangehensweise, lassen sich Schnellboote leichter starten und es können sog. „quick wins“ entstehen. Diese motivieren wieder für die nächsten Schritte.

Die Menschen in der Gemeinde/Einrichtung verfügen häufig über ein weitverzweigtes Netzwerk. Dies ermöglicht es, weit über die Gemeinde hinaus Kontakte zu knüpfen, Ideen zu multiplizieren, Potenziale zu entdecken und Menschen (auch außerhalb der Kerngemeinde) für Vorhaben zu gewinnen.

Nichts ist für die Ewigkeit

Manchmal ist es leichter, einen Schritt in eine ungewisse Zukunft zu wagen, wenn man nur für einen überschaubaren Zeitraum plant und danach wieder neu entscheidet, wie die nächsten Schritte aussehen. Das entlastet und gibt Lust, Neues auszuprobieren.

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5. Wovon müssen wir uns verabschieden?

Wer Neues anfängt, muss sich auch von Altem verabschieden. Was wie eine Binsenweisheit klingt, ist in der Tat nicht so einfach, doch unverzichtbar. Es besteht sonst leicht die Gefahr, in Aktionismus zu verfallen. Folgende Fragen können beim Sortieren hilfreich sein:

  • Was läuft gut und braucht kein Kümmern? Das kann auch ohne mich laufen.
  • Was ist im Laufen und braucht Pflege? Wie viel Einsatz ist notwendig?
  • Worauf können wir verzichten? Was ist der leistbare Verlust? Das lassen wir.
  • Wen können wir nicht gewinnen? Das lassen wir bleiben und investieren keine weitere Energie.

Vielen Menschen in den Gemeinden fällt es schwer, sich von lieb gewordenen Angeboten zu verabschieden. Was macht Angebote zu „Absteigern“, die wir getrost streichen können? Welche können oder müssen sogar wieder zu Aufsteigern werden? Um dem auf den Grund zu gehen, helfen nachfolgende Fragen:4

  • Kann dieses Angebot gestrichen werden oder gehört es zum „Kerngeschäft“?
  • Werden mit diesem Angebot wichtige kirchliche Werte vermittelt? Wenn ja, welche und an welche Zielgruppe?
  • Werden diese Werte auch durch andere Angebote an dieselbe Zielgruppe vermittelt? Wenn ja, welche sind dies?
  • Hat das Angebot Wachstumspotential, um es zu einem Aufsteiger zu machen. Wenn ja, welches?
  • Soll in das Angebot neu investiert werden? Wenn ja, wie und wieviel?
  • Passt das Angebot noch zu unserem biblischen Leitbild?
  • Falls das Angebot gestrichen wird: Wen betrifft es und wie kann es den Betroffenen kommuniziert
    werden? Was bedeutet das für das pastorale Handeln? Wie viel Freiraum gibt es?

4 Anregung aus: Sehen, was ist, Arbeitshilfe für die Gemeindepastoral, Erzbischöfliches Ordinariat Bamberg (Hg.), 2008, S. 27.

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6. Schritt für Schritt vorwärts gehen

Wer sich aufgemacht hat, neue Wege zu gehen, sollte sich bewusst sein, dass er an der nächsten Wegstrecke sich ggf. neu entscheiden muss, weil sich die Situation geändert hat, andere Rahmenbedingungen herrschen, plötzlich ein Gewitter aufzieht, mit dem man nicht gerechnet hat. Auch wer genau den Weg kennt und sein Ziel weiß, sollte sich bewusst machen, dass das Wissen nicht für alle Zeit gilt. Wer sich in den Entwicklungsprozess einer Gemeinde/Einrichtung/eines Projekts einlässt, wird immer wieder folgende Lernschritte gehen, nicht im Sinne dessen, dass er sich im Kreise dreht, sondern er geht sie wie in einer Spirale: Immer wieder neu und auf einer anderen Ebene.5

  1. Analyse: Ausgangspunkt wahrnehmen
  2. Diagnose: Das Wahrgenommene deuten und Optionen ableiten
  3. Ins Handeln kommen: Maßnahmen entwickeln und durchführen
  4. Rückmeldungen: Feedback zum Experiment einholen und auswerten
  5. Institutionalisieren: Positive Ergebnisse implementieren/negative Ergebnisse zum Anlass für eine Nachjustierung bzw. für eine neues Experiment nehmen.

5 Anregung aus: Sehen, was ist, Arbeitshilfe für die Gemeindepastoral, Erzbischöfliches Ordinariat Bamberg (Hg.), S. 41.

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7. Ergebnissicherung

Halten Sie fest: Wer geht welche Vorhaben mit wem an? Wer braucht welche Informationen und Unterstützung? Bis wann sind erste „Ergebnisse“ zu erwarten und wie werden Rückmeldungen dazu eingeholt? Wer reflektiert diese mit wem? Tipps für die konkrete Projektdurchführung finden Sie in der Dritten Tiefenbohrung "Raus aus dem Hansterrad oder der Mut zum Experiment".

„Kümmerertreffen“ hat der Pfarrverband Anzing-Forstinning Treffen genannt, an denen sich alle Verantwortlichen einer konkreten Maßnahme einmal im halben Jahr treffen, um sich gemeinsam über den Stand der Vorhaben auszutauschen, Rückmeldungen zu reflektieren und ggf. neu zu justieren. Die Verantwortlichen können sich bei diesen Treffen Feedback einholen, voneinander lernen und durch Nachfragen am eigenen Projekt weiterarbeiten.

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8. Impuls: Du darfst

Überlegen Sie gemeinsam, welche der folgenden Erlaubnisse Sie in der Gemeinde ganz dick unterstreichen und damit hervorheben möchten.

Du darfst kreativ sein!
Du darfst Fehler machen!
Du darfst Entscheidungen treffen!
Du darfst Nein sagen!
Du darfst fröhlich sein!
Du darfst Dich auf Deine Aufgaben beschränken!
Du darfst dir Hilfe holen!
Du darfst Deine Fähigkeiten zeigen!
Du darfst Kritik üben!
Du darfst erfolgreich sein!
Du darfst Schwierigkeiten haben!
Du darfst Dein Engagement beenden!
Du darfst anderer Meinung sein!
Du darfst anderen helfen!
Du darfst unbequem sein!
Du darfst gut für Dich selbst sorgen!
Du darfst ehrlich sein!
Du darfst auch mal nichts tun!

Aus: Sehen, was ist, Arbeitshilfe für die Gemeindepastoral, Erzbischöfliches Ordinariat Bamberg (Hg.), 2008, S. 25.

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